iGZ Tarifvertrag
Rotes Tuch oder Chance?
Bewerber fragen mich häufig, was ich von Zeitarbeit halte. Insbesondere dann, wenn sie schon länger arbeitssuchend sind, spielen manche von ihnen mit diesem Gedanken. Zeitarbeit hat in meiner Wahrnehmung immer noch ein schlechtes Image in der Arbeitswelt. Zurecht? Ich habe Stephan Rathgeber von der ManpowerGroup gefragt, einem der größten Personaldienstleister in Deutschland. Er erklärt, was Zeitarbeit ist und ob etwas dran ist an den Vorurteilen. Am Ende dieses Beitrags interessiert mich auch Ihre Meinung. Welche Erfahrungen haben Sie mit Personaldienstleistern und Zeitarbeit? Machen Sie mit bei meiner Umfrage im Anschluss an das Interview.
Was genau ist eigentlich Zeitarbeit, Herr Rathgeber?
Stephan Rathgeber: Zeitarbeit beschreibt ein Arbeitsverhältnis, bei dem Mitarbeiter bei einem Personaldienstleister fest angestellt und in wechselnden Einsätzen bei Kundenunternehmen tätig sind. Arbeitgeber ist also das Zeitarbeitsunternehmen, der Mitarbeiter erbringt seine Leistung aber in dem Unternehmen, das ihn und seine Arbeitskraft benötigt. Der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers besteht zwischen ihm und dem Personaldienstleister.
Gibt es typische Jobs oder Branchen, in denen Zeitarbeit eingesetzt wird?
Stephan Rathgeber: Unternehmen aus den vielfältigsten Branchen nutzen Zeitarbeit für kurz- oder langfristige Personallösungen. Besonders stark verbreitet ist das Arbeitsmodell in den Bereichen Industrie, Technik, Dienstleistung, Lager, Logistik und Produktion sowie im kaufmännischen Bereich, wie beispielsweise Einkauf, Vertrieb und Finanzen.
Und für wen ist Zeitarbeit eine Alternative zur Festanstellung?
Stephan Rathgeber: Zeitarbeit bringt Menschen in sozialversicherungspflichtige Jobs. Über 60% der Menschen, die bei der Zeitarbeit anfangen, waren vorher arbeitslos oder sogar langzeitarbeitslos. Für sie ist Zeitarbeit der Sprung zurück ins Arbeitsleben. Wir als Personaldienstleister helfen ihnen dabei. Aber wir vermitteln auch Einsteiger, Umsteiger und Jobwechsler. Wir bieten Jobs, die nirgendwo ausgeschrieben sind, vor allem bei großen und namhaften Unternehmen, mit denen wir eng zusammenarbeiten.
Was ist dran an den Vorurteilen, mit denen Zeitarbeit zu kämpfen hat?
Stephan Rathgeber: Die Zeitarbeit ist teilweise immer noch verpönt, zu Unrecht, denn sie hat viele Vorteile. Zum einen dient sie als Sprungbrett zurück ins Arbeitsleben und dient als Türöffner für Unternehmen, in die man sonst vielleicht nicht reinkommen würde. Zum anderen haben Arbeitnehmer in der Zeitarbeit gleiche Rechte wie andere Arbeitnehmer, die genau wie sie unbefristet und sozialversicherungspflichtig angestellt sind. Der Unterschied besteht in den wechselnden Einsätzen, die es einem ermöglichen, viel Berufserfahrung innerhalb kurzer Zeit zu sammeln. Das kann besonders für Absolventen und Young Professionals reizvoll sein.
Oft fühlen sich Zeitarbeiter als Kollegen zweiter Klasse. Sind sie es wirklich und was empfehlen Sie ihnen?
Stephan Rathgeber: Es gibt keinen Grund, sich als Mitarbeiter zweiter Klasse zu fühlen, denn unsere Mitarbeiter sind unbefristet und sozialversicherungspflichtig bei uns angestellt. Zeitarbeitnehmer haben die gleichen Rechte wie alle Arbeitnehmer, wie z. B. zum Kündigungsschutz, und sie erhalten einen Arbeitsvertrag mit Renten-, Kranken-, Arbeitslosen-, Pflege- und Unfallversicherung, bezahltem Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Zudem haben sie die Möglichkeit, an Weiterbildungen teilzunehmen. Sowohl Zeitarbeitsfirmen als auch Kundenunternehmen haben gegenüber Zeitarbeitnehmern und Stammbelegschaft die gleiche Fürsorgepflicht.
Der Hauptunterschied besteht darin, dass ihr Einsatzort wechselt. Endet der Einsatz bei einem Kundenunternehmen und es liegt noch kein Anschluss-Einsatz vor, überbrücken wir die Zeit mit Qualifizierungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Schweißer-Kursen oder Schulungsmaßnahmen im Bereich Lager und Logistik. Unternehmen müssen Zeitarbeitnehmer an zugängigen Stellen über freie oder freiwerdende Arbeitsplätze informieren. So haben sie immer eine reelle Chance auf eine direkte „interne Bewerbung“.
Darüber hinaus bietet Manpower allen Zeitarbeitnehmern einen kostenlosen Zugang zu eLearnings an. Es stehen mehrere Hundert unterschiedliche Kurse zur Verfügung (wie zum Beispiel MS Office, SAP-Kurse etc.). Zudem profitieren unsere Mitarbeiter auch von einem umfassenden betrieblichen Gesundheitsmanagement, dazu zählen Check-Up, eine kostenlose Hotline zu einem unabhängigen Werksarztzentrum, Gesundheitstage und Gesundheitsgespräche.
Die Vorteile für Arbeitgeber liegen auf der Hand. Wann ist Zeitarbeit auch für Arbeitnehmer eine gute Entscheidung?
Stephan Rathgeber: Ob mit Ausbildung, abgeschlossenem Studium oder als Spezialist mit langjähriger Erfahrung, Zeitarbeit bietet für alle Ein-, Um-, Quer- oder Wiedereinsteiger vielfältige Perspektiven. Mit nur einer Bewerbung haben Kandidaten die Chance, bei Unternehmen zu arbeiten, bei denen sie sonst vielleicht nicht reinkommen würden.
Zudem bieten wir unseren Mitarbeitern zielgerichtete Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, so dass sie ihre Einsatzmöglichkeiten und Karrierechancen noch weiter steigern können. Nicht zuletzt besteht auch die Option auf Übernahme durch das Kundenunternehmen.
Zeitarbeit ist also keine Einbahnstraße, sondern kann sogar ein Sprungbrett sein. Auch für Hochschulabsolventen lohnt sich der Jobeinstieg über die Zeitarbeit. Sie können auf diese Weise verschiedene Unternehmen kennenlernen und wertvolle Berufserfahrung sammeln.
Viele Zeitarbeiter hoffen, im Anschluss fest übernommen zu werden. Was sind Ihre Erfahrungen?
Stephan Rathgeber: Es gibt immer eine gute Chance auf eine Übernahme im Kundenunternehmen. Wir machen aber auch die Erfahrung, dass nicht jeder unserer Mitarbeiter Übernahmeangebote annimmt. Denn unsere Mitarbeiter sind in der Regel unbefristet bei uns angestellt und je nach Einsatz verdienen sie ebenso viel oder sogar mehr als Stammmitarbeiter des Kundenunternehmens.
Und was raten Sie ihnen, wann und wie sie das Thema Übernahme ansprechen können?
Stephan Rathgeber: Oftmals wissen die Personalexperten von Manpower in den Niederlassungen schon bei einem Vorstellungsgespräch, ob die zu besetzende Stelle eine Option auf Übernahme hat. Allerdings sollte man sich nicht davon abschrecken lassen, wenn eine Stelle kurzfristig als Urlaubs- oder Krankheitsvertretung geplant ist.
Wenn ein Mitarbeiter gut ins Unternehmen passt, werden oftmals Einsatzmöglichkeiten in anderen Abteilungen gefunden oder eine kurzfristig angedachte Stelle verlängert sich, weil die Mitarbeit doch länger benötigt wird. Umso länger man in einem Unternehmen ist, umso mehr bekommt man mögliche Einsatzgebiete mit.
Wie offen gehen Unternehmen heute damit um, dass sie Zeitarbeit einsetzen – Stichwort Employer Branding?
Stephan Rathgeber: Die Reputation der Zeitarbeit und von Zeitarbeitsfirmen im Allgemeinen hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt. Die mit den Gewerkschaften vereinbarten Tarifverträge, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und die Branchentarifzuschläge haben dafür gesorgt, dass auch Kundenunternehmen offener mit der Zeitarbeit umgehen.
Welche Trends beobachten Sie im Arbeitsmarkt in Sachen Zeitarbeit?
Stephan Rathgeber: Die Anzahl der Menschen, die in Deutschland als Zeitarbeitnehmer arbeiten, ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Waren es 2003 noch 282.000 Menschen, so sind es heute 993.000, was etwa 3 Prozent der Gesamtbeschäftigung ausmacht (Bundesagentur für Arbeit, „Aktuelle Entwicklung in der Zeitarbeit“).
Mit dem Inkrafttreten der neuen Reform des Arbeitsüberlassungsgesetzes (AÜG) am 1. April 2017, die eine Höchstüberlassungsdauer der Zeitarbeitnehmer bei einem Kundenunternehmen von 18 Monaten sowie “Equal-Pay” nach 9 Monaten vorsieht, wird die Branche durch höhere Verdienstmöglichkeiten an Image gewinnen und das wird auch die Rekrutierung erleichtern.
Quelle: https://www.bernd-slaghuis.de/karriere-blog/zeitarbeit/